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Ein Ostpreuße wie er im Buche steht

Begonnen von Kögsten, Donnerstag, 08.10.2020, 12:50:08h

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Kögsten



Erinnerungen an meinen Vater Friedrich Wilhelm Hofer 1895 - 1976

Mein Vater (geb. 1895 in Bartzkehmen) machte nach der Schule zunächst eine Tischlerlehre bei seinem Onkel, doch mit 19 Jahren zog er mit den 8. Ulanen in den 1. Weltkrieg. Er erzählte mir viel aus dieser Zeit; meistens waren es spannende Geschichten, die oft mit seinen Pferden zu tun hatten.
Wichtig waren z.B. die Futtersäcke für die Pferde. Wenn die verlustig gingen, musste man dafür gerade stehen. Einmal war meinem Vater der Futtersack entwendet worden. Da hat er auch einen stibitzt. Plötzlich erkannte er, dass der größte Schläger der Truppe nach seinem Futtersack suchte. Glücklicherweise wurde er nicht erwischt, da er den Futtersack "behandelt" hatte, so dass er vom Eigentümer nicht mehr zu erkennen war.
Die Schießausbildung spielte bei der Truppe eine große Rolle. Mein Vater galt als ein guter Schütze. Mit einem Stubenkameraden ging er die Wette ein, dass er ihm eine Münze aus den Fingern schießen könnte. Doch der Kamerad traute sich nicht, die Münze zu halten. Dann haben sie die Rollen getauscht und mein Vater wurde an einem Finger getroffen.
Vom Kriegsgeschehen im 1. WK sind mir nicht so viele Geschichten in Erinnerung geblieben. Einmal geriet er zwischen die Feuerlinien, als er einen Vorposten besetzte und plötzlich von Freund und Feind gleichzeitig beschossen wurde.
Auch ist er einmal beim Überspringen eines Baches kopfüber vom Pferd in den Bach gestürzt.
Seinen Erzählungen nach war mein Vater ein sehr guter Reiter, der ein besonderes Talent darin besaß, schwierige Pferde zuzureiten.
Ich habe sehr gerne seinen Erzählungen gelauscht, doch Mord und Totschlag war nie ein Thema.
Nur einmal war eine traurige Geschichte dabei. Mein Vater hatte einem Kameraden Geld geliehen. Irgendwann hat er dieses Geld zurückverlangt. Womöglich deshalb hat sich dieser Kollege bald darauf das Leben genommen. Ich sollte wohl aus der Erzählung lernen, in meinem späteren  Leben nicht kleinlich zu sein.
Nach dem Friedensvertrag von Versailles 1919, der den Ersten Weltkrieg beendete, war Ostpreußen zwischen 1920 und 1939 durch den ,,Polnischen Korridor" vom übrigen Deutschland territorial abgetrennt. ..
Wer nach Ostpreußen mit dem Zug reiste, durfte keine Waffen mitführen.
Nach dem 1. Weltkrieg war General von Seeckt zeitweiliger Chef des Generalstabs des Armeeoberkommando Nord im Grenzschutz Ost. In dieser Funktion besuchte er den Truppenübungsplatz Arys ohne seinen Säbel.
Ihm wurde zum Besuch der Truppe ein Säbel zum Repräsentieren umgehängt. Mein Vater war der Meinung, dass es sein Säbel war, was ihn ganz stolz machte.
Nach Kriegsende blieb mein Vater als Zwölfender beim Militär. Als Zwölfender werden beim Militär Soldaten bezeichnet, die eine mindestens zwölfjährige Dienstzeit abgeleistet haben.
Bereits in der preußischen Armee, aber auch bei der Reichswehr und der Wehrmacht, konnte damit ein Anspruch auf Versorgung mit einer Stelle im öffentlichen Dienst erworben werden.
In dieser Zeit als Zwölfender, so um 1919, muss mein Vater meine Mutter im Alter von 15 – 16 Jahren kennengelernt haben. Muttis Vater Rudolf Vogt war königlicher Oberförster der Försterei Broska in Westpreußen. Dort war Papa mit seiner Kompanie einquartiert, um die Försterei während der Zeit der Auflösung zu beschützen.
Anschließend übernahm Rudolf Vogt eine Försterei bei Hanau. Mein Großvater mütterlicherseits (dieser Förster) machte meinem Vater wohl sehr früh klar, dass er die Heirat erst dann erlaube, wenn er einen ordentlichen Beruf vorweisen könne. Die Heirat fand erst 1936 statt, als mein Vater die höhere Beamtenlaufbahn beim Zoll angetreten hatte und damals schon Zollinspektor war. Das war eine lange Verlobungszeit!
Leider oder zum Glück war ich 1944 zu klein (1-1,5 Jahre alt), um mich an die Flucht aus Ostpreußen erinnern zu können. Es ist wenig, was ich aus Erzählungen meiner Eltern bzw. Geschwister noch berichten kann.
Der Aufbruch muss sehr überhastet abgelaufen sein. Von einem Sammelpunkt  aus, in der Nähe von Kögsten, wurden wir (Mutti, Oma, Ursula 7 Jahre, Siegfried 6 Jahre  und ich 1 Jahr) mit einem Wagen zum Bahnhof gefahren. Zum Glück kam mein Vater noch rechtzeitig zum Beladen des Wagens hinzu und konnte so verhindern, dass die Familie auseinander gerissen wurde. Für meinen Vater war es leider nicht möglich, seine Familie auf der Flucht zu begleiten, denn er hatte die Aufgabe, das Zollamt in Osterode aufzulösen. Seine Vorgesetzten hatten sich schon rechtzeitig gen Westen abgesetzt.
Von der Flucht weiß ich nicht viel, nur dass ich und die Oma beinahe aus dem Viehwagen geworfen wurden. Ich hatte ständig geweint, weil mir das Stearin aus der Lampe über mir ins Gesicht tropfte, was erst später entdeckt wurde, und die Oma war wohl mit ihren Nerven am Ende.
Meine Mutter hatte als Ziel (ein Ziel musste angegeben werden) die Adresse ihrer Freundin in Geislingen an der Steige angegeben. Diese hatte aber in der Zwischenzeit ihre Einwilligung zurückgenommen, doch dieser Brief hatte uns nicht mehr erreicht.
Mein Bruder erzählte mir noch, dass der Zug einmal vor einer Stadt halten musste, da diese gerade von Fliegern bombardiert  wurde.
In Geislingen wurden wir in eine kleine Wohnung zwangseingewiesen, ganz zum Unwillen des Hausbesitzers, Haus mit  Tankstelle und  Werkstatt im Untergeschoss. Wenn der Besitzer an unserer  Wohnungstür klingelte, versteckten wir Kinder uns und hatten Angst.
Erst dieses Jahr (2020) erfuhr ich von meiner Cousine Erika (heute 92 Jahre alt), dass meine Mutter wie auch Erika diese Flucht bzw. diese Nachkriegszeit nicht unversehrt überstanden haben. Auf dem ersten Passbild nach der Flucht erkennt man an ihren Gesichtszügen, das Leid und den Kummer, was sie erlitten haben muss, um die Familie in den Monaten ohne Vater zu versorgen.
Mein Vater konnte, wie schon oben erwähnt, nicht mit seiner Familie fliehen, da er noch den Auftrag zu erledigen hatte, das Zollamt in Osterode aufzulösen.
Wohl mit einem der letzten Züge ging er auf die Flucht, doch die Lokomotive entgleiste, da diese Verkehrslinie bombardiert worden war. Zunächst versuchten die Flüchtlinge, hauptsächlich waren es Frauen und Kinder, die Lokomotive wieder in die Gleise zu heben, was natürlich unmöglich gelingen konnte.
Plötzlich waren in der Nähe Panzer zu hören. Mein Vater verfolgte das Geräusch und entdeckte zwei deutsche Panzer, einen größeren und einen kleinen. Er bekam die Auskunft, dass es sich um die letzten deutschen Panzer handeln würde. Daraufhin bat mein Vater den Kommandanten, mitfahren zu dürfen. Er bekam positiven Bescheid und wollte noch am Zug Bescheid sagen. Da fuhren die Panzer weiter. Glücklicherweise blieb der kleine Panzer in einem Bombentrichter hängen, so dass mein Vater die Panzer noch erreichte und aufsitzen konnte.
Bei der längeren Fahrt auf dem Panzer zog er sich Erfrierungen an einem Bein zu, was zur Folge hatte, dass er nicht zum Volkssturm eingezogen wurde.
Mit einem Kollegen versuchte er sich meist in der Nacht gen Westen durchzuschlagen, wobei sie immer wieder Unterschlupf bei Bauern suchten, denen sie auch bei der Arbeit halfen. Es trieb sich viel Gesindel auf den Straßen herum, so dass sie niemals vor Überfällen sicher waren. Bei solch einem Überfall büßte er seine Armbanduhr ein.
Irgendwann gerieten sie in amerikanische Kriegsgefangenschaft und wurden in ein großes mit Stacheldraht umzäuntes Lager ohne Überdachung gesperrt. Vor dem Lagereingang lag ein großer Haufen beschlagnahmter Fahrräder.
Als die Wachposten am Tor abgelenkt waren, nahm mein Vater seinen ganzen Mut zusammen, ging durch das offene Tor, griff sich ein Fahrrad und entfernte sich damit vom Lager. Dabei hatte er ständig erwartet, von hinten erschossen zu werden.
Aus Aufenthaltsgenehmigungen kann ich erkennen, dass meine Mutter mit uns Kindern und der Oma am 8. Feb. 1945 in Geislingen angekommen war.
Erst zu meinem Geburtstag, am 15.6. 1945 erreichte mein Vater die Notunterkunft in Geislingen.
Für meinen Vater ging es jetzt darum, die Familie zu ernähren. Als ehemaliges Parteimitglied der NSDAP konnte er zunächst seinen Dienst beim Zoll nicht fortführen. Er war wohl schon in Ostpreußen Zolloberinspektor geworden. Jetzt wurde von ihm verlangt, ein Dokument zu unterschreiben, das besagte, dass er nur durch seine Parteizugehörigkeit diese Karriere hatte schaffen können. Er könne nur als Zollinspektor wieder eingestellt werden. Vom 2.1.1946 – 19.8.1947 war er beim Zollamt in Göppingen beschäftigt.
Um seine Familie zu ernähren fand er einen Arbeitsplatz bei einer Bäuerin in Urspring auf der Schwäbischen Alb. Was für ihn dort gewöhnungsbedürftig war, war der schlechte Ackerboden dort im Vergleich zu dem fruchtbaren Boden in Ostpreußen und der Umgang mit dem "Most", der ihm zur Arbeit gereicht wurde. Mit den Nachwirkungen des Mostes hatte er nicht gerechnet.
Einmal hatte mein Vater für uns Kinder Äpfel von der Arbeit mitgebracht. Jeder sollte einen bekommen. Doch ich hatte irgendetwas angestellt und zur Strafe durfte ich mir keinen Apfel nehmen. Das habe ich bis heute nicht vergessen.
Auch hat er einmal von der Bäuerin einen lebenden Hasen bekommen. Siegfried und Ursula haben ihn versorgt. Als dann Hasenbraten auf dem sonntäglichen Speiseplan stand, hat sich meine Schwester geweigert mitzuessen.
Bei einer Fahrt zur Arbeit auf der Geislinger Steige ist er mit einem anderen Fahrradfahrer kollidiert und hatte sich dabei eine Gehirnerschütterung zugezogen.
Endlich konnte er seinen Stolz besiegen und unterschrieb das oben erwähnte Dokument, obwohl er immer noch der Meinung war, dass er wegen seinen  im Beruf gezeigten Leistungen  Zolloberinspektor geworden sei und nicht wegen seiner Parteizugehörigkeit.
Zum 6.10.1950 zogen wir nach Göppingen um. Dort wurde er dann bald zum Vorsteher des  Zollamts ernannt. Einige Jahre später bekam er das Angebot, die Leitung des Zollamts in Koblenz zu übernehmen, aber er lehnte ab, da wir Kinder durch den Schulwechsel sicher Schwierigkeiten bekommen hätten und sich so ein Wechsel wohl auch nicht gerechnet hätte.
Mein Vater war wohl ein typischer preußischer Beamter. Dazu ein Beispiel: In der Weihnachtszeit wollte ich meinen Vater von der Arbeit abholen und musste in seinem Zimmer bis zu Arbeitsschluss warten. Da kam plötzlich ein Angestellter einer großen Firma aus Göppingen ins Zimmer und übergab meinem Vater eine Weihnachtskarte. Auf der Rückseite war ein 50 DM Schein angeheftet. Sofort ging das Geld wieder zurück
Mein Vater ging ganz in seiner Arbeit auf, Urlaub machte er niemals, bis er einen Herzinfarkt erlitt. Am Vorabend hatte er mir noch gezeigt, wie man einen ordentlichen Liegestütz ausführt. Dabei hatte er sich wohl übernommen. Das ereignete sich so um 1957. Durch konsequente Nahrungsumstellung ist er immerhin noch 80 Jahre alt geworden.
1976 weilte ich in den Sommerferien mit meiner Familie in Südtirol im Urlaub. Dort träumte ich eines Nachts, dass mein Vater dringend Hilfe benötigt. Am nächsten Morgen erhielt ich einen Anruf mit der Nachricht, dass mein Vater nachts gestürzt war und die Nacht vor seinem Bett liegend verbringen musste.
Mein Vater hatte einen guten Draht zum Chefarzt der Klinik in Göppingen, der es erlaubte, dass wir (mein Bruder und ich)  ein zusätzliches Bett im Krankenzimmer meines Vaters benutzen durften, um uns mit der Nachtwache dort abzulösen.
Einige Male hat mein Vater mit uns gebetet, weil er annahm, sein Leben würde zu Ende gehen. Es war ihm dann anschließend beinahe peinlich, dass das mit dem Abschied nicht so klappte, wie er gedacht hatte. Erst als er vom Arzt verlangte, die starken Herztabletten abzusetzen, ging es dann ziemlich schnell. Die Krankenschwester hatte mich darauf aufmerksam gemacht, dass sein Lebensende nahe. Sein Gesichtsausdruck hatte sich verändert.
Mein Vater wie auch meine Mutter waren herzensgute Menschen, doch glaubte mein Vater, das vor Gott beweisen zu müssen: Häufiger Kirchgang, viel Bibelarbeit, viel Gebete, Missionsarbeit, usw.
Bei meiner Mutter hatte ich den Eindruck, dass sie so etwas nicht nötig hatte, sie war einfach gut, von Natur aus. So wollte ich auch sein, doch wer ist von Natur aus wohlgefällig?




neumann

Sehr geehrter Herr Hofer ,,Köngsten,,

Jener Mensch der im ehemaligen Ostpreußen einst gelebt hat weiß genau was Vertreibung für Ihn und Ihre Familien bedeutet hatte.Es ist sehr bedauerlich das dieses je geschehen ist damals ,,hätte man dieses je verhindern können ?,,.Ich wünsche es niemals das je so etwas wir es wiederfahren.Ihr Beitrag verdeutlicht ein Schicksal das Ihnen und Ihrer Familie damals wiederfahren ist.

Wünsche Ihnen weiterhin viel Freude hier im Bildarchiv Ostpreußen und dem Forum

.....
Mit freundlcihen Grüßen
Waldemar Neumann v.BAOP

Kögsten

Herr Neumann,
die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Wir sind schon zufrieden, wenn die Mächtigen der Welt bei Verstand bleiben und wenn das Vertreiben der Menschen aus ihrer Heimat endlich aufhören würde.

Liebe Grüße

E. Hofer

neumann

Hallo Herr Hofer

Ja das ist wahr die Zeit kann man nicht mehr zurückdrehen leider.Mann kann sich nicht vorstellen das ein ,,paar Menschen auf Führungsebene auf der Erde immer das Chaos angerichtet haben.
...........
Es wäre wirklich gut das es keine Vertreibung mehr auf der Erde geben würde und jeder in seiner Heimat verbleiben kann.Ich bin der Aufassung dieses ist eine Ilusion Vertreibung wird es leider immer wieder geben und das zunehemend allein aus verschiedenen Gründen ,,Klimawandel,Konflikte verschiedener Formen,Rohstoffmangel,Überbevölkerung,,.
..........


Mit freundlichen Grüßen
Waldemar Neumann v.BAOP

Kögsten

Herr Neumann,
sie haben recht. Deshalb wäre es wichtig, dass wir ein starkes, geeintes Europa hätten, in einer Zeit in der man Amerika nicht mehr trauen kann.

Freundliche Grüße
Kögsten